Illegaler Vogelfang in Thüringen"Gefangen wird wie vor hundert Jahren"
Mit grausamen Methoden wird auch in Thüringen immer noch Vogelfang betrieben. Dabei ist Vogelfang in Deutschland streng verboten. Doch für regelmäßige Kontrollen fehlt es in den Naturschutzbehörden an Zeit und Personal. Die Täter bleiben meistens unerkannt.
In den stockfinsteren Räumen im Keller hingen die Käfige bis unter die Decke. Die Mitarbeiter der Umweltbehörde im Keller glaubten ihren Augen nicht zu trauen. In jedem der kleinen Draht- und Holzgehäuse saßen Finken, Bluthänflinge und Stieglitze. Dasselbe noch mal auf dem Dachboden: Dunkle Tücher, die jeden Sonnenstrahl schluckten und eine Unzahl gefangener Vögel.
Vogelfreunde nennen so etwas Tierquälerei
"Wenn solche Vögel wieder ins Licht dürfen, singen sie besonders schön", stellt Andreas Mehm nüchtern fest. Den Ilm-Kreis-Bediensteten interessiert bei solchen Funden erst einmal, woher die Tiere kommen. Kann der Halter einen Nachweis vorlegen? Stammen diese Vögel aus legalen Züchtungen oder legalen Importen? Oder sind es etwa Wildfänge? Dann wäre es eine Straftat, die mit empfindlichen Geld- bis hin zu Gefängnisstrafen geahndet werden kann.
Das "Bejagen und Entnehmen von geschützten Arten aus der Natur", auch der Vogelfang ist in Deutschland streng verboten. Doch in Thüringen hat der Vogelfang eine Tradition. "Und diese Tradition lebt fort", sagt der 47-jährige Mehm. Wenige Kilometer von seinem Büro im Landratsamt entfernt, erinnert das Museum Großbreitenbach an die "Vogelstellerei". Vor mehr als hundert Jahren lebten die Menschen hier davon, Vögel zu verkaufen. Stieglitze und Finken sorgten für Abwechslung auf dem regionalen Speiseplan. Diese Zeiten sind eigentlich vorbei. Warum heute Vögel trotz drohender Strafen noch gefangen werden, kann auch in den anderen befragten Landkreisämtern niemand sagen.
Der Ilm-Kreis bekommt jährlich mindestens einen Fall von illegalem Vogelfang auf den Tisch. Der Keller im Landratsamt ist voll mit sichergestellten Netzen, filigranen Schnappfallen und Leimruten. Sie alle ähneln den Ausstellungsstücken im Museum. "Gefangen wird wie vor hundert Jahren", sagt Andreas Mehm. Er selbst kann den Anblick nicht vergessen von einer Heckenrose, in der 15 Leimruten steckten. Die Spitzen sind kaum zu unterscheiden vom echten Gehölz eines Strauches. Perfekte Tarnung für eine heimtückische Falle. Die Spitzen werden mit einer klebrigen Masse präpariert. Ein Vogel, der sich hier niederlässt, kommt nicht mehr weg. Die meisten der betroffenen Vögel versuchen zu fliehen, "bis zur Erschöpfung", aber "sie kleben einfach fest".
Vogelfreunde erwarten Strafen. Doch die Naturschutzbehörden müssen die Täter nicht nur ausfindig machen; für eine Strafe müssen auch zweifelsfreie, belastbare und möglichst gerichtsfeste Beweise beigebracht werden.
Die Täter bleiben meistens unerkannt
Vogelfang und die Jagd geschehen aber im Verborgenen. Auf frischer Tat ertappt wurde in Thüringen offenbar noch niemand. Die Naturschutzbehörden kennen keinen Fall. Vergiftete, erschossene oder in Schlagfallen verendete Greifvögel seien auch eher Zufallsfunde von Pilzsammlern oder Wanderern, heißt es. Doch wer jagt die streng geschützten Greifer? Bussarde, Habichte und der Rote Milan sind bei Hühner- und Taubenzüchtern verhasst. Die Naturschutzbehörden wissen, dass auch in Thüringen Körbe oder Schlagfallen untereinander ausgeliehen und Horste "ausgeschossen" werden, um die der Greifer zu zerstören. Doch auch hier bleiben die Täter meistens unerkannt.
Für eigene Kontrollen fehlt es in den Naturschutzbehörden an Zeit und Personal. Ohne konkrete Anzeigen aus der Bevölkerung bekommen die unteren Naturschutzbehörden in Thüringen nur selten überhaupt Kenntnis vom illegalen Jagen oder der "illegalen Entnahme aus der Natur." Doch die Anzeigen bleiben häufig in den Ämtern stecken. Denn die Naturschutzbehörden in den Kreisen haben gut zu tun. Wenn Stellungnahmen und Gutachten für Straßenbau und Windparkprojekte anstehen, kommen aufwendige und schwierige Ermittlungen im Artenschutz einfach zu kurz.
Vergleichsweise moderate Strafen
Nur wenige der angezeigten Verdachtsfälle gehen an die Staatsanwaltschaften, noch weniger werden vor Gericht gebracht. Das ist das Ergebnis der MDR THÜRINGEN-Umfrage in allen unteren Naturschutzbehörden und den Thüringer Staatsanwaltschaften. Zwischen Mord und Totschlag wirkt ein toter Vogel sicher nebensächlich. Und doch wurmt es engagierte Artenschützer in den Behörden, wenn die Verfahren eingestellt oder mit vergleichsweise moderaten Strafen enden.
Im Landkreis Greiz beispielsweise wurde ein Ehepaar nur zu 650 Euro Bußgeld verurteilt, weil es Stare regelmäßig zwischen einer Hühnerhaus-Fensterscheibe und einem Schutzgitter einklemmte. Lediglich 100 Euro musste ein Mann zahlen, der in einem Netz an seiner Dachrinne mindestens elf Vögel getötet hatte. Im Ilm-Kreis verurteilte ein Amtsgericht einen Wildvogel-Fänger zu 600 Euro Geldstrafe.
"Ich bekomme für eine Katze, der ich auf den Schwanz trete vermutlich eine höhere Strafe, als wenn ich einen Vogel fange", unken Artenschützer wie Andreas Mehm. Die bisher höchste Strafe eines Thüringer Gerichts wegen Verstoßes gegen das Bundesnaturschutzgesetz betrug nach den MDR THÜRINGEN vorliegenden Informationen 5.000 Euro. Damit wurde im Kreis Sömmerda das massenhafte Vergiften von Raubvögeln geahndet. Artenschutz steht einfach nicht im Fokus der Thüringer Strafbehörden.
Dabei gibt es Beispiele, wie mit mehr Bewusstsein und sinnvollen Strukturen Behörden auch ohne mehr Personal im Sinne des Gesetzgebers schlagkräftiger werden. Die Artenschützer in den Thüringer Amtsstuben schauen neidisch nach Nordrhein-Westfalen. Hier gibt es eine Stabsstelle Umweltkriminalität. Artenschutzbehörden, Naturschützer in der Bevölkerung, Polizei und Staatsanwälte sind hier vernetzt. Mit dem Ergebnis, dass die illegale Jagd auf geschützte Tiere zwar nicht geringer, aber schon deutlich härter bestraft wird.
Die Artenschützer in den Thüringer Behörden wie Andreas Mehm wünscht sich einfach, dass gegen Vogelfänger mehr vorgebracht werden kann, als ein Bußgeld wegen "nicht-artgerechter Haltung", sprich Tierquälerei. Wenn das Gesetz ausgeschöpft würde, dann so seine Hoffnung, würden Fallen tatsächlich nur noch im Museum stehen.